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Nockberge Winterdurchquerung Tag 3 - Von 0 auf 100 (km/h Wind)

Claudia Schallauer
15.01.2023

Wieder ein kurzes Stoßgebet am Morgen: fährt die Bahn? Erneut sind Windböen gemeldet, heftiger und zeitlich früher als in den Vortagen. Wir haben Glück, der massive 6er-Sessel auf das Kornock fährt. Ich habe von Tag 1 gelernt und die Schneeschuhe auf den Rucksack geschultert und schreite mit den Stecken als Gehhilfe, sodass ich meinen Hintern das 1. Mal auf dem Lift platziere statt am Weg dorthin.

Je höher wir raufschweben, desto windiger wird es, aber es ist noch dezent, wohl um unsere Start-Motivation nicht zu schmälern. Es ist Tag 3 unserer Schneeschuh-Durchquerungs-Mission. Wir starten auf 2.200hm mit einem Traumpanorama, das allerdings im Hintergrund schon den morgigen Wetterwechsel ankündigt. 

Um 9:22 Uhr stapfen wir neben zahlreichen, elegant schwingenden SkifahrerInnen die unerwartet perfekte Piste hinab. Ein bisschen wehmütig wandert unser Blick auf die Wedler, die lustvoll und rasch nach unten gleiten. Für uns sind diese 600hm Abstieg zwar eine willkommene Abwechslung zum gestrigen Morgensport-700er, allerdings ist auch das lange Bergabgehen für die unaufgewärmten Fußgelenke durch die Überstreckung sehr fordernd. 

 

Wir zweigen nach wenigen Minuten von der Piste ab in eine Gegend, die wir nur zu gut kennen. Vorbei an der Winkleralm (von der es gestern noch eine Ewigkeit war, bis wir – das Skigebiet umrundend – unser Hotel erreicht hatten. Heute waren es hierher knappe 30 Minuten). 

Anders als der Track vorschlägt, queren wir den Bach etwas früher, da ich an dessen Ufer eine schöne Spur erspähe bzw. diese in Erinnerung wähne. Und so ist es: für einen guten Kilometer oder mehr folgen wir zuerst parallel dem Bachverlauf, danach schön angelegt einem von Skitourengehern gespurten Waldweg. Wenn ich eines gelernt habe in den letzten Tagen dann jenes: Wenn du eine Spur findest, nutze sie!

Von dieser Weisheit können wir uns überzeugen, als die Spur endet und wir den restlichen Aufstiegsweg zur Pregartscharte selbst spuren müssen. Das ungleichmäßige Einsinken, das ständige Muskelspannung und Konzentration erfordert, verlangsamt unser Tempo deutlich und fordert meine Kondition. Aber ich bin guter Dinge und schon um 11:00 Uhr erreichen wir die Pregartscharte

Heute halten wir uns links und folgen einem wunderschönen Wanderwegstück, direkt der Sonne entgegen. Der Weg legt sich in Serpentinen und da wir aufgrund der Geschwindigkeit die mögliche Abkürzung verpassen, bleiben wir im schnellen Abwärtsgang auf dem wenig beschneiten Sommerwanderweg und machen zügig Meter.

Am Ende der letzten Kurve sehe ich, wo die Abkürzung herausgekommen wäre und ärgere mich ein bisschen – denn diese liegt hinter einem Bach, dessen Übergang aufgetaut ist und den wir nun durchwaten müssen. Etwa 1,5m balanciert Stefan über das Resteis und ich über Steine – beide Taktiken sind von Erfolg gekrönt. Wenige Meter bekommen wir eine 2. Chance, das Gelernte zu wiederholen. Die 3. Bachquerung - alle guten Dinge sind drei - hat schließlich eine kleine Restbrücke. Gerade dort bleiben wir aber länger, da unglaublich filigrane Eiskristalle ein Naturmosaik unglaublicher Schönheit zaubern.

 

Unser Weg mündet in die sich bergauf windende Nockalm-Straße, und hier folgt der 2. Hauptteil des Anstiegs. Die Straße ist spiegelglatt und ich bin an dieser Stelle sehr froh, nicht mit dem Auto hier zu sein. (wobei die Straße im Winter ohnehin für Autos gesperrt ist). Die Stecken bekommen keinen Halt, aber die Krallen der Schneeschuhe bohren sich in die dicke Eisschicht. Die sanfte Neigung liegt mir und wir kommen rasch bergauf. (Tipp: Hier nicht das kurze Waldstück abkürzen, wie es im Track zu finden ist. Erstens ist hier megamäßig zu spuren, was ziemlich auspowert und 2. war der Ausgang mit Stacheldraht versperrt. Daher lieber im rhythmischen Gehen auf der Straße bleiben, was zweckmäßig minimal  länger, aber zeitlich aufs Gleiche resultiert und vor allem wertvolle Kräfte spart!)

 

Nächste Mission: ein schönes Pausenplatzerl zu finden. Und siehe da: Bänke und Tisch erscheinen wie eine Fatamorgana kurz nach 13:00 Uhr in unserem Blickfeld. Meine Eierspeise ist noch warm, und ich genieße diese mit einem Stück leckeren Keto-Körnerbrotes vom Frühstück. Da der Wind sich verstärkt, beenden wir die Pause mit dem letzten Bissen und machen uns auf den Weg. 

Noch sind es einige Höhenmeter, die wir zu bewältigen haben. Zwar sind es heute unter 1.000, allerdings kommt es sehr auf deren Verteilung an. Und 2/3 in der 2. Weghälfte zu haben, ist mental auch fordernd. 

Wir finden den Einstieg in den Sommerwanderweg, freuen uns noch über das Schild, das den Falkertsee (unser Ziel) in 2 Stunden verheißt. Aber das ist definitiv eine Sommerangabe. Sämtlicher Restschnee hat sich wohl im kommenden Wegstück zusammengepfercht, die Stempfen des Wanderweges strecken für maximal 10cm ihre schüchternen Köpfe aus den weißen Schneemassen. Gut genug, um den Weg zu finden, allerdings ohne Spur, die wir nutzen können. Und so spuren wir erneut.

Ich bin immer noch fit, allerdings mental etwas gefordert, als ich die hoch aufragenden Berggipfel vor uns sehe, einer davon - der Steinbock -  unser Ziel heute! Egal wie oft ich in den Bergen bin – immer wieder fasziniert es mich, welche gigantischen Strecken und auch Höhen man in wenigen Stunden per pedes zurücklegen kann. Fakt ist, jetzt stehen wir am Grund des Massivs und meine Vernunft bezweifelt die Zeitangaben. Ich schalte das Denken aus und gehe. Mission: eine Spur finden. Und ja: nach längerem selber-Spuren ein Lichtblick – eine für meine 15 Skitourenjahren Erfahrung perfekt angelegt Tourenski-Aufstiegsspur in einem Terrain, das ich auch wählen würde. So verlasse ich den Sommerweg und mich auf meine Intuition und folge den Spuren. (Etwas, von dem ich aber pauschal abrate, auch wir haben vor diesem Entscheid die Karte und das Gelände studiert!).

Unglaublich schnell gewinnen wir an Höhe, allerdings im gleichen Ausmaß der Wind an Gewalt. Wir queren einen Hang und sehen den wunderschönen der Sonne exponierten Grat unseres Tagesgipfels und die Vorfreude auf das heutige „Highlight“ wächst. Aber wir haben die Rechnung ohne den Sturm gemacht. Böig empfängt er uns am Ende unserer Querung, sodass ich mich gerade noch halten kann. Ich hocke mich hin, lege meine Daunenjacke als oberste Schicht an, zu viel Bedenken habe ich, die dünne Windjacke nicht festhalten zu können, wenn ich sie aus- und darüber ziehe. Mein Halstuch ziehe ich so hoch als möglich und fixiere es unter meiner Brille, meine Haube tiefer, sodass nur mehr ein schmaler Schlitz für die Augen bleibt. Darüber die Kapuzen beider Jacken und auf geht’s. 

Jetzt heißt es mental gehen, Schritt für Schritt. Als wir eine Spur entdecken, die um das Steinnock herumführt, ist die Entscheidung gefallen. Bei 70-80km/h Böen ist ein Gipfelgrat sicherheitstechnisch bedenklich, da ich mich auf dem breiten Weg gerade stabil halten kann. Es folgen ca. 1 bis 1,5 Stunden Umrundung des Massivs im Südpol-Expeditionsstil. Rundherum fegt der Wind, über die benachbarten Gipfel ziehen die tiefliegenden Wolken. Es ist beeindruckend aber auch bedrohlich. Als wir das Skigebiet erreichen, kann ich kaum mehr die Piste erkennen, so müde sind meine Augen von der Konzentration und dem ständigen Windspiel durch die Gläser.

Halluziniere ich oder sehe ich Heidi schon winken? Idyllisch liegt das Hotel fernab des Trubels… so stand es in der Beschreibung. Zwar nicht mehr im Freien, aber kurz darauf in der Blockhüttensauna finden wir diese urige Idylle, wie ich sie aus den Kindheitstagen vom Heidi und ihrem Almöhi kenne. Wir kuscheln uns in die mit Fell belegten Sessel, nachdem wir unsere steifen Glieder sanft in der Hitze des Aufgusses wieder auftauen haben lassen. Als wir nach draußen blicken, fallen die ersten Flocken. Was für ein Timing.

 

 

Streckeninformation
 

  • Etappenlänge: ca. 13,7km
  • Höhenmeter bergauf: ca. 870m
  • Höhenmeter bergab: ca. 1200m
  • Wetter: sonnig, bis orkanartig böig
  • Highlights des Tages: Ankunft :-)
Kategorien Natur Bewegung