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Lebensweg - Etappe 2: mystischer Herzstein

Claudia Schallauer
31.05.2022

Der Waldviertler Lebensweg besteht aus 13 Etappen,  die die Lebensphasen von Schwangerschaft/Geburt bis Tod  repräsentieren. Mit rund 260 Weg-Kilometern bei über 7300 Höhenmetern vereint diese 2018 geborene Weitwander-Route den Kremstal – und Ysper-Weitental-Weg in drei verbundenen Schleifen. Start und Ende befinden sich in Nöchling, dazwischen liegen zwei Wochen im hügeligen Waldviertel mit seiner weitläufigen Natur, dichten Wäldern, märchenhaften Klammen und mystischen Steinformationen. Geschlafen wird in privat- und familiengeführten Partnerbetrieben bei herzlichen Gastgebern, die den Einblick in die Region komplettieren.

Ich lade euch ein, mir auf meiner Wanderung am Lebensweg zu folgen.


 

ETAPPE 2 - Nöchling bis Ysper mit Nächtigung in St. Oswald

Rückblick: 2019, bei unserem letzten Vor-Corona-Urlaub nach Südamerika, hat meine Mama die Rückreise nach einer Lungenembolie nur knapp überlebt. 2020 folgte die Diagnose Lungenkrebs, die sie mit ihrer starken Willenskraft ebenso besiegt hat. Es waren herausfordernde Jahre, in denen wir beide unsere Energie in der Natur fanden. Auf zahlreichen Tageswanderungen habe ich meine Mama nach der Entfernung eines Lungenlappens wieder langsam wanderfit gemacht.
 

Als ich das erste Mal vom Lebensweg hörte, hatten wir ein sportliches Ziel aber vor allem einen zwischenmenschlichen Traum. Was gibt es schöneres, als mit dem Menschen, der einen gezeugt und großgezogen hat, über das Leben nachzudenken? Nicht nebenbei bei gestressten Kurzbesuchen in der Hektik des Alltags sondern im entschleunigten Nebeneinander-Gehen? Mit Zeit für eigene Gedanken, einen tiefen Austausch über Vergangens bei gleichzeitigem Erschaffen einer neuen Erinnerung.

Mein Muttertagsgeschenk 2022 war gefunden!

 

Der Jahreskreislauf sollte den Rahmen für unser Lebensweg-Abenteuer bilden. Schon im Mai, wenn das Leben auf Wiesen und Feldern erblüht sollte es losgehen mit „Wander-Block 1“, im Juni gehen wir weiter, um das regionale Highlight der Mohnblüte mitzuerleben. Enden wollen wir symbolisch rund um Allerheiligen. 
 

Schritt 1: Kontaktaufnahme mit dem Waldviertler Tourismus.  Während ich letztes Jahr beim Luchstrail alles selbst organisiert und auch getragen haben, wollte ich meiner Mama eine unkomplizierte Weitwander-Premiere schenken, die durch Gepäcktransport das genussvolle Gehen nur mit Tages-Rucksack ermöglicht.

 

 

Do. 19. Mai 2022: Was gibt es für einen schöneren Start in ein Weitwander-Erlebnis als die Anreise ins Hotel des Glücks?

Der Wecker läutet früh, 1,5 Stunden Anreise von Wels nach St. Oswald wollen bewältigt werden. Der Name des Hotels ist schon auf der Hinfahrt Programm:  Vor Linz staut es noch nicht weit genug zurück und der Autoteil-Unfall etwas später passierte fünf Minuten vor unserem Eintreffen - Schicksal, dass ich mich bei der Abfahrt um diesen Zeitraum verspätet hatte?

Um 8:30 Uhr stehen meine Mama nach dem Shuttle des Hotelinhabers am einladenden Platz vorm Gemeindeamt von Nöchling auf 535m Seehöhe, der Lebensweg beginnt wenige Meter später vorm örtlichen Kindergarten.
 

Wir haben uns dazu entschieden, mit Etappe 2 „Schwangerschaft und Geburt“ zu starten, die mit 17km und etwa 670 Höhenmetern als Eingeh-Tag motiviert, während die Etappe 1 sowohl von Länge als auch Aufstieg etwa 30% mehr Leistung fordert. Diese wollen wir „eingewandert“ nachholen anstatt vor allem meine Mama als Weitwander-Novizen gleich zu verausgaben.

 

Die Sonne strahlt mit uns um die Wette und beleuchtet die gut erkennbaren grünen Lebensweg-Sticker, die auf den bestehenden Markierungen des Ysper-Weitental-Rundwanderweges Nr. 22 zur Orientierung angebracht wurden.

 

Los geht’s! Wir marschieren, die Sonne angenehm wärmend im Rücken. Wie lange es wohl dauert, bis ich den Alltag ebenso hinter mir lassen kann? Die letzten Wochen waren ein Dauerhamsterrad aus Projekten, Emails und Organisation.

 

Ein neugieriger Hase beobachtet uns kurz vor dem Eintritt in das 1. Waldstück. Er hoppelt näher, knabbert kurz an den Blumen und posiert für ein Foto bevor er wie vom Blitz getroffen seinen nervösen Zickzack-Kurs einschlägt. Ich halte inne. Ist das nicht genau das Spielbild meines aktuellen Lebens? Kurze Genuss-Momenten, eingezwickt in der Dauererreichbar im 24/7-Leben einer Selbständigen?

 

 

Vom Hase zum Igel

Fast symbolisch lassen wir den Ort hinter uns und betreten eine Parallelwelt aus märchenhaften Farnen. Hinter dem Wald eine Landschaft mit schier unendlichem Horizont mit einer Komposition aus coupiertem Gelände aus saftigen wilden Wiesen, blühenden Äckern und mächtigen Vierkantern, die wie aus dem Pinsel Van Goghs anmutet. Der sanfte Wind streicht über das Getreide, das uns mit einem eleganten Tanz verzaubert.

 

 

Zuerst sanft, später im 2. Waldstück merklich bergab führt unser Weg. Es ist erst kurz vor zehn und schon außergewöhnlich heiß für Mai. Die Losenegger Klamm erfreut uns mit ihrem schattigen Weg und dem neben dem Wasser merklich kühlerem Klima besonders. Wir beobachten das vergnügte Spiel des Wassers mit den Steinen und gönnen uns eine erste kleinen Imbiss. Gestärkt auch mit der Energie dieses Ortes überwinden wir das folgende längste asphaltierte Teilstück des Tages, das uns mit der überlegten Wegführung begeistert, da es den potentiell-gefährlichen unübersichtlich-kurvigen Straßenabschnitt mit einem Fußweg durch die Wiese entschärft. Es folgt eine kurze Sitzpause am höchsten Punkt mit stolzem Blick zurück.

Vor uns: unser Mittagsziel, der Nasch- und Naturgarten kurz vor St. Oswald, wo wir nach einer wohltuenden Jause (nach etwa 11 Kilometern Wegstrecke) um 13:30 Uhr von Naturvermittlerin Gerda Wolf begrüßt werden.

Die Idee dazu kam vom Tourismusverband und ich bin im Nachhinein extrem dankbar dafür: Die spannenden Informationen von lokaler Flora und Fauna, über die Symbolik und Mythen der Wackelsteine, Schalen- und Kriechsteine bis hin zu spannenden umweltbezogenen und regionalpolitischen Naturthemen schaffen in kurzer Zeit eine tiefe Verbindung zur Region.


Gerda Wolf ist nicht nur eine tolle Erzählerin sondern auch eine sehr engagierte Frau, die den Naturgarten mitinitiiert und auch viele Texte der folgenden Schautafeln verfasst hat. Dementsprechend groß ihr Wissen zum Kornmandl und spannend ihre Sicht auf die weiblichen Kraftplätze beim steil ansteigenden Abstecher zum Drachen- und Totenkopfstein.

Tageshighlight und Kernstück der heutigen Etappe ist der Herzstein, dessen Durchkriechen den Akt der Geburt symbolisiert. Ich bleibe für ein paar Minuten "im steinernen Geburtskanal" liegen, jeder Zentimeter meines Unterkörpers auf der kühlen Oberfläche des Steins gebettet und merke, wie meine Seele langsam ankommt.  

Mit meinen Zehen robbe ich mich zentimeterweise vorwärts, eine wunderbare Art der Entschleunigung.

 

Nach dem letzten sehr spannenden Erläuterungen zum Niedermoor verlässt uns Frau Wolf und während wir das letzte Wegstück wieder zu zweit weiterwandern, spreche ich mit meiner Mama über ihre Schwangerschaft mit mir und ihre Erinnerungen an die Geburt. Bei dieser hat sie hat mir ihr Glück, das sie in dieser Zeit empfunden hat, als Lebenseinstellung und -energie weitergegeben, das spüre ich heute mehr denn je. In Dankbarkeit, das Glück teilen zu können, marschieren wir jede von uns in Gedanken versunken. Kurz vor dem Ende der heutigen Etappe bringen uns süße Schafe kurz vom Weg ab, was wir allerdings bald bemerken. Vor dem Dorfplatz begrüßt uns das Schild "Geburts-Etappe" in Ysper.

Das Hotel des Glücks empfängt uns und verwöhnt uns bei sommerlichen lauen Abendtemperaturen auf der Terrasse mit einem 4-Gänge Menü, das wir nach diesem langem 1. Weitwandertag bis auf den letzten Bissen genießen.

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