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HTPT - ET17 - Das letzte Kapitel des Wandermärchens

Claudia Schallauer
17.08.2023

Heute steht ein erstes Mal an, ich weitwandere alleine. Eine Erfahrung, die mir am Lebensweg bei einer Teiletappe – im positiven Sinne – vereitelt wurde. Und was passt besser, als das letzte Stück des Kapitels Hohe Tauern Panorama Trail, seineszeichen letzter Weitwanderweges, über den ich in meinem Buch schreibe, in meinem Tempo und meiner Gedankenwelt zu beenden.

Nach einem ehrlich gesagt unerwartet phänomenalen, extrem liebevoll arrangierten Frühstück im eher unscheinbaren Hotel Echo (das ich hiermit in Bezug auf die Gastfreundschaft und kleine feine Dinge wie Badewanne, eine extrem angenehme Decke, einen urigen Aufenthaltsraum mit Getränkebar auf Vertrauensbasis) sehr empfehlen möchte – wenn man nicht auf modernste Einrichtung Wert legt. Auch die Lage ist perfekt, kann ich doch nun über den pittoresquen Wasserfallweg in den HTPT „eintauchen“.

Idyllisch geht es im Anschluss hoch über dem Kurort Bad Gastein weiter, und zwar auf der Kaiser-Wilhelm-Promenade. Dieser wunderschöne Höhenweg ist ein herrlicher Tages- und Etappenbeginn zum Eingehen und ich verlasse ihn nach etwa 30 Minuten schweren Herzens an der Abzweigung zur Poserhöhe. Es geht kurz bergab, wohl um Schwung zu holen für die etwas mehr als 1.000 Höhenmeter, die nun am Stück folgen.

Habe ich mir gestern noch ein kleines Gläschen von meinem Lieblingssekt der Marke Rotkäppchen gegönnt, fühle ich mich heute nun wie selbes. Obwohl Sonne vorhergesagt ist, stecke ich in einer dichten Nebeldecke und bahne mir den Weg durch den mystischen dunklen Wald. Ein bisschen unheimlich ist sie schon, diese Stimmung am ersten Alleinwandertag.

Um 9:45 Uhr bricht die Sonne durch bzw. ich durch den Nebel und diese Stimmung ist einfach märchenhaft. Alle Berge sind schon da, der Stubnerkogel, unser gestriges Tagesziel mit dem benachbarten Zitterauer Tisch. Vor mir ragt die markante Nase des Graukogels in den Himmel.

Ich gewinne, beseelt von den herzlichen Gesprächen heute Vormittag – mit der finnischen Inhaberin der Pension sowie einem Therapeuten, der mir am Weg alles Gute gewünscht hat, schnell an Höhe. Ein Großteil der Strecke verläuft im Schatten, was ich absolut genieße, denn mit der Höhe steigen auch die Temperaturen. Die Sonnencreme, die ich heute morgen so euphorisch aufgetragen habe, ist schon längst verflossen, die Hitze drückt. Bzw. bin ich nach den vergangenen Tagen im Regen und auch Schnee wohl zweistellige Plusgrade gar nicht mehr gewöhnt.

Punkt 10:00 Uhr passiere ich die Poserhöhe Hütte  - genau nach einer Stunde, wie ein Wegweise vor 60 Minuten vorausgesagt hatte. Was mich etwas dämpft, ist die Info „Hüttschlag 5,5 Stunden“. Ich hatte das Gefühl, richtig gut voranzukommen, war aber ohne Pause schon 1,5h zügig unterwegs – das ergäbe 7 statt den 6,5h laut Plan und Track. Mit schwerem Rucksack ist es wirklich eine Herausforderung, die „Wanderzeit laut Formel“ einzuhalten!

Die „Tages-10000 Schritte“ liegen schon vor Mittag hinter mir… wie viel es heute wohl werden? Mit über 21 Kilometer ist das heute eine der längeren Etappen – und ohne Option auf Erleichterung, wie an den zwei Vortagen.

Ich versinke in Gedanken und in dem angenehm weichen Waldboden. Vor mir erhasche ich einen Blick auf die Grasberge - Highlights des heutigen Tages – die mich umgehend an die Kärntner Nockberge erinnern. Punkt 11:00 Uhr thront er stolz vor mir: der Gamskarkogel und ich schreite die kommende halbe bis dreiviertel Stunde auf ihn zu. Auf einem sehr engen Band schlängelt sich der Weg zuerst gemächlich, dann aber nochmal etwas fordernd aufwärts zur Tofernscharte.

Wie schön ist es, dort eine Bank vorzufinden! Dankbar lasse ich mich zur Mittagsrast nieder. Eine Wolke schiebt sich über die Sonne und schenk mir etwas Schatten. Ich blicke dankbar zurück – auf das Gasteiner-Tal. Ganz außen im rechten Blickwinkel zwinkert mir der Großglockner zum Abschied zu.

Nachdem ich mein durchgeschwitztes T-Shirt gegen ein frisches getauscht habe, drehe ich mich um, um den Weg fortzusetzen – laut Beschilderung drei Stunden bis Hüttschlag. Es ist Punkt 12 Uhr, als ich losmarschiere, 3h 40min. nach Aufbruch heute morgen. Ab hier geht es nur mehr bergab.

Kurz hatte ich geliebäugelt, ohne den schweren Rucksack auf den Gamskarkogel zu „segeln“, der mit einer Stunde Gehzeit beziffert ist. Das wären etwa 300 Höhen- und Tiefenmeter extra… und mit einem Puffer von 1h 15min. zum Erreichen des optimalen Zuges mit (Tälerbus-)Abfahrt 16:08 Uhr vom Endpunkt Hüttschlag, ist mir das etwas zu knapp. Kein Stress am letzten Tag!

Ich schnüre meine Schuhe enger und marschiere los, der Weg ist wiederum einladend und lädt zum zügigen Gehen ein. Bzw. mit den Stecken zum Abfedern eher ein verspieltes, gämsenartiges Springen.

Eine Kuh macht mir Platz, dann bin ich auch schon bei der Harbachalm. Es ist jetzt 12:40 Uhr, also perfekte Mittagszeit, aber ich bin so gut im Schwung, dass ich diesen nicht abbremsen möchte. Die Toberwaldschotterstraße leitet mich parallel zum gleichnamigen Bach entlang, eine Schlange beobachtet mich vom Wegrand.

 

Da wird mir so richtig bewusst, dass es auch einige Vorteile hat(te), bei schlechterem Wetter zu wandern: die Nattern bleiben dann zuhause und meist reicht eine Trinkflasche weniger. Heute trieft der Schweiß bei mir und ich leere Getränk Nummer zwei. Nach einem etwas fordernden sonnenausgesetzten Schotterstück folgt wieder ein Waldweg, der ebenso zum Netzt des Salzburger Almenrundweges zählt. Eine Stunde verheißt der Wegweiser an der Abzweigung – kann das sein, ich bin erst 1 ¼ Stunden unterwegs? Ich werde von einigen Gatschlöchern aus meinen Gedanken gerissen – will man immer das, was man gerade nicht hat? Jetzt freue ich mich über den Schatten, allerdings hatte der saubere Weg auch seine Vorzüge… The grass is always greener on the other side…  ich verziere Hose und Schuhe mit brauner Zeichnung und freue mich auf Hüttschlag, das zur Vereinigung der Bergsteigerdörfer gehört. Wie es dort wohl aussehen wird? Ob es ein nettes Café gibt? Ich zergehe von innen… und sehne mich nach einer Erfrischung. Sehr lange weisen die Schilder einen Restweg von 50min. aus – bis wenige Minuten später eine 20 folgt!?

Ich kann es kaum glauben – bin ich doch noch keine zwei Stunden unterwegs… Ich passiere den Autoparkplatz Harbachalm und betrete den letzten Wegabschnitt. Plötzlich lacht mir Hüttschlag durch die Bäume entgegen – ein spitzer Kirchturm vor einer mächtigen Bergkulisse im Horizont. Ich beschleunige meinen Schritt vor Vorfreude… und dann bin ich da.

Aber wo genau muss ich hin? Ob ich hier im Talschluss des Großarltals Empfang habe? JA – und so finde ich auch heraus, dass keine 10 Minuten von jetzt der Tälerbus fährt – was er nur 1x/ Stunde macht. Eigentlich wollte ich ja gemütlich ankommen, aber die Sonne sticht herunter und ein Kaffeehaus ist weit und breit nicht in meinem Blickfeld. Kurzerhand entschließe ich, wenn es denn klappen sollte, diesen Bus zu nehmen. Und wie es klappt! Nachdem ich € 7,30 bezahlt habe, lege ich mein Handy zur Seite und betrachte die vorbeiziehende Landschaft mit ihren großen blumengeschmückten Häusern vor der Silhouette mächtiger Berge. Eine Welt, in der die Zeit stillzustehen scheint. Bis St. Johann sitze ich einfach da und schaue, und warte darauf, dass meine Seele ankommt.

Die Welt holt mich dann im Zug nach Salzburg ein, der so überfüllt ist, dass nicht mehr alle sitzen können. Ich bin so müde, dass ich ein junges Mädchen höflich bitte, ob nicht doch frei sei neben ihr. Und so lande ich in einer Gruppe Kinder und Jugendlicher eines Turnerlagers – und fühle mich richtig wohl, da sie und ihre Turnschuhe das gleiche „Parfum“ tragen, wie meine Wanderschuhe bzw. ich.

 

Während der Zugfahrt betrachte die Fotos des heutigen Tages, der eine Ära beendet. Ein Gefühl des Stolzes überkommt mich – darauf, dass ich es wirklich geschafft habe, 6 Tage mein komplettes Gepäck selbst zu tragen – inklusive Laptop, da ich ja jeden Abend geschrieben habe. Und auch darauf, dass ich es probiert habe, alleine weitzuwandern. Wobei ich nun mit Sicherheit sagen kann, dass das die Ausnahme bleiben wird. Zu sehr liebe ich das Teilen magischer Momente, spektakulärer Sonnenuntergänge, aber auch der kleinen Wunder der Natur, die jeder am Weg mit seinem Blick auf die Welt entdeckt. Und das gegenseitige Motivieren, wenn eine/r einen „Hänger“ hat. Und auch das gemeinsame Genießen – von kühlen Bergseen aber vor allem regionalem Essen, das zu zweit mehr als doppelt so gut schmeckt. Ich bin auch unendlich dankbar, dass alles gut gegangen ist – denn das ist beim Alleinewandern schon ein kleines Risiko: sich z.B. auf wenig begangenen Wegen zu verletzen. Und viele Tage waren wir stundenlang ohne Mitwanderer. Weil heuer gefühlt alle in die Ferne fliegen (und bei 30+ Graden schmoren), anstatt die heimische Schönheit zu erleben. Wie sich das in den nächsten Jahren entwickeln wird? Ich denke, dass die Sehnsüchte zwischen Natur und Kultur, zwischen Heimat und Ferne wieder einpendeln – wie es vor Corona war. Wobei ein kleiner Trend zur Entschleunigung durch Gehen sicher entstanden ist. Und dafür gibt es allein in Österreich so viele herrliche, neue Weitwanderwege! Sie liegen wir unbeschriebene Blätter vor mir – auf welchem wir „die nächste Geschichte schreiben“, steht heute noch in den Sternen – die in den kommenden Tagen als Perseiden am Himmel leuchten werden.  

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