Blog

HTPT-ET15: Zeit der kleinen Wunder

Claudia Schallauer
15.08.2023

Lang haben wir überlegt: Lang ist der Weg (26,5km). Und nicht lang scheint das regenfreie Fenster. Daher folgen wir dem „Autorentipp“ des offiziellen GPS-Tracks des Tourismus – und nehmen den Bus von Rauris bis Bucheben-Maris. Das sind 10km und etwa 2,5h Gehzeit vs. 13min. Buszeit.

Als wir die ersten Schritte setzen, erfrischt uns ein feiner Sprühregen – eigentlich angenehm, denn es geht bergauf, und zwar ziemlich. Statt der mit 60hm ebenen (durch den Bus ersetzten) Eingehphase, heißt es nun: aufwärts! Genauer gesagt mehr als 800hm in den ersten fünf Kilometern. Während wir gestern fast „geflogen“ sind, fühlt sich heute jeder Schritt wie Zeitlupe an. Da der Regen an Intensität zunimmt, packen wir unsere Wanderschirme aus, die wir inzwischen in Perfektion am Brustgurt montieren. Dieser zusätzliche Luftwiderstand erhöht unser Tempo auch nicht unbedingt. ????

Der HTPT-Weg ist schön, wir verlassen den Asphalt rasch und genießen den Wald – später eine herrliche, in Blüte stehende Wiese. Der Nachteil: diese ist extrem nass und meine Schuhe profilieren sich nicht gerade durch Dichtheit. Den Sumpf, den wir später durchschreiten werden, habe ich gefühlt unterhalb meiner Socken, was mir kurz die Freude am Gehen etwas nimmt.

Ansonsten ist es aber ein magischer Tag der kleinen Wunder. Wenn das Große, Spektakuläre im Nebel liegt, richtet sich der Blick noch mehr auf das versteckte Kleine: Steine, die glitzern, Blumen, die in den schönsten Farben blühen sowie Muster und Reflektionen, die ringsherum um unsere Aufmerksamkeit ringen. Wenn man genau schaut, entdeckt man tiefer im Wald herrliche Schwammerl, die noch nicht aufgespürt worden. Wir tauchen ein in diese Makrowelt und fühlen uns ein bisschen wie Alice im Wunderland. Wohl etwas verträumt verpassen wir eine Abzweigung, die 90° um einen Zaun herumführt. Aber unsere Intuition funktioniert, und bald sind wir zurück am Weg.

Immer noch ist keine Hütte in Sicht – auch nicht jene, bei der ich dachte, sei käme zu früh für eine Mittagsrast. Ein Schild verheißt 30 Minuten, was wir schon gar nicht mehr glauben wollen. Wir werden abgelenkt durch anmutige Pferde, die neben uns grasen – Noriker, wie wir kurz darauf vom Besitzer, einem Förster erfahren. Dessen Mutter bewirtet die kleine Stanzalm, keine fünf Minuten entfernt und so finden wir uns wenige Schritte später in einer urigen Hütte bei Kaffee und Kuchen ein und fühlen uns in der Zeit zurückversetzt. Die Zeitwahrnehmung wirkt heute ohnehin verzerrt. Als wir gestärkt weiter gehen und gehen, erscheint erst lange später“ unsere primär anvisierte "Mittags" bzw. namentlich Mitterastenalm)“. Da wir nun schon eingekehrt waren und die Zeit (des Niederschlags) gegen uns tickt, passieren wir Hütte, die mit ihrer Blumenpracht wie aus dem Tourismus-Bilderbuch wirkt. Als dann auch noch Zieharmonika ertönt, fällt das besonders schwer – aber später würden wir noch froh sein, hier konsequent geblieben zu sein.

Um 15:15 Uhr – nach sechs Stunden Unterwegszeit stehen wir endlich auf dem – unscheinbaren – höchsten Punkt des Tages (1.856m) und freuen uns, nun endlich nach Kolm Saigurn abzusteigen. Ein Highlight wartet aber noch – und hier werden wir reich beschenkt: Als wir den Rauriser Urwald betreten, hört es zum 1. Mal komplett auf zu regnen und wir genießen dieses Paradies aus leuchtenden Farnen, mit Leben gefülltem Totholz und die mächtigen schützenden Bäume auf einem wunderschönen Rundweg. Wie Gretel hätte ich mich hier verlaufen, hätte mein Stefan mich nicht aus dem Dickicht-Labyrinth herausgeführt. Ein neuerlich beginnender Regen reißt mich aus dem Gedanken-Märchenland und wir beschleunigen das Tempo. Es ist kurz vor halb fünf, als wir mit Schirm im Naturfreundehaus ankommen, einrem geschichtsträchtigen Gebäude, auf das ich mich schon sehr gefreut habe. So wie auf Kolm-Saigurn, das mir in vielen (winterlichen Skitouren-)Erzählungen schon  aufs wärmste empfehlen worden. Und nun bin ich hier (gottseidank heute ohne Schnee) – im Funkloch des Talschlusses und freue mich des puristischen Lebens: Essen, Schlafen, Weit(er)wandern.

Tourendetails:

unsere Unterwegszeit: 7h 10min. für 16km und knapp 1000 Höhenmeter. – davon etwa 30min. Urwaldrundgang

Kategorien Natur Bewegung Auszeit